
Jedes Kind muss von Neuem das Lesen erlernen. Und das ist harte Arbeit! Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Gehirn nur in den ersten 10 Lebensjahren fähig ist, so lesen zu lernen, dass man es ohne Anstrengung beherrscht.
Lesen = Sehen und Sprechen
Es gibt keine vorgesehenen Nervenzellen, die für das Lesen zuständig wären. Beim Lesenlernen verändert sich das Gehirn des Kindes. Dabei werden neue Verbindungen zwischen Schaltkreisen und Strukturen im Hirn geschaffen, die eigentlich für das Sehen und Sprechen zuständig sind. Erst mit der Zeit spezialisieren sich ganze Gruppen von Nervenzellen, und der Leseprozess beginnt sich zu automatisieren. Forscher haben herausgefunden, dass sich die Hirnstrukturen eines Lesers deutlich von denen eines Nicht-Lesers oder eines beginnenden Lesers unterscheiden.
Das Lesenlernen erfordert, dass das Kind die gesprochene Sprache bereits beherrscht. Ein großer, vielfältiger Wortschatz ist die beste Voraussetzung für gutes Lesen und Schreiben. Daher fängt die Vorbereitung auf das Lesenlernen schon lange vor der Einschulung an.

Bereits im Kleinkindalter wird das Gehirn des Kindes durch Sprache-Hören, Vorlesen, Reime oder Sprachspiele auf das spätere Lesenlernen vorbereitet. Einer amerikanischen Studie zufolge besteht bereits im Kindergartenalter eine erhebliche Kluft zwischen Kindern mit dürftiger sprachlicher Stimulation und solchen mit besserer Sprachversorgung. Das heißt, dass ein fünfjähriges Kind aus der gehobenen Mittelschicht im Schnitt bereits 32 Millionen Wörter mehr gehört hat als ein Kind aus unterpriviligierten Verhältnissen. (Quelle: Meaningful differences in the everyday experience of young American children / B. Hart & R. T. Risley) Kindergartenanfänger, die bereits Tausende Wörter gehört und verwendet und deren Bedeutung verstanden, klassifiziert und in ihrem Gehirn gespeichert haben, haben einen klaren Bildungsvorteil. Kinder, die noch nie eine Geschichte vorgelesen bekamen, die nie Reime hörten, die sich nie ausgemalt haben, gegen Ungeheuer zu kämpfen oder einen Ritter zu heiraten, haben deutlich schlechtere Karten. Auch Kinder, die wenig sprechen, geraten oft schon ins Hintertreffen, bevor sie mit dem Lesenlernen überhaupt anfangen.
Vom Leseanfänger zum geübten Leser
Wenn Kinder zu lesen beginnen, lernen sie mühsam Buchstabe für Buchstabe zu entziffern, erkennen Silben und Wörter. Man könnte annehmen, dass sich der Prozess der Buchstabenerkennung und -zusammenfügung im Laufe der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen beschleunigt, um schließlich die hohe Lesegeschwindigkeit eines Erwachsenen zu erreichen. Tatsächlich ändert sich aber der Leseprozess auf dem Weg vom Leseanfänger zum geübten Leser grundsätzlich.
Für einen geübten Leser ist es gar nicht mehr nachvollziehbar, warum Buchstaben nicht eindeutig voneinander unterscheidbar sein sollen. Für Kinder steht allerdings rechts und links, oben und unten noch nicht so unmissverständlich fest. Vor allem gespiegelte Buchstabe wie p und q können daher leicht verwechselt werden. Je ähnlicher sich die Buchstaben sind, desto genauer müssen Auge und Gehirn arbeiten, um sie voneinander zu unterscheiden. Selbst bei Viellesern lässt sich eine Zeitdifferenz in der Unterscheidung von ähnlichen und nicht sehr ähnlichen Buchstaben feststellen. P und R, i und j werden beispielsweise langsamer unterschieden als W und G. (Quelle: Principles of perceptual learning and development/ E. J. Gibson)

Ein Leseanfänger kann beim Lesen einzelner Buchstaben nicht auf benachbarte Zeichen schließen. Aber nach und nach bekommt das Kind ein Gespür für häufig vorkommende Buchstabenfolgen. Diese werden dann nicht mehr als Buchstaben gelesen, sondern fest assoziiert. Ein geübter Leser in deutschsprachigen Texten erwartet zum Beispiel nach „sc“ ein „h“. Je mehr der junge Leser liest, desto weniger Buchstabeninformationen benötigt er, um ein Wort zu entschlüsseln. Er entwickelt für das zu lesende Wort eine Sinnerwartung. Diese wird dann weiter auf Wortgruppen, Satzteile und Sätze ausgedehnt.
Durch viel Leseerfahrung lernt der Leser auch, dass es für das Satzverständnis wichtigere und unwichtigere Worttypen gibt. Wörter, die Inhalte transportieren wie Adjektive, Adverbien Nomen und Verben (bunt, schnell, Haus, laufen) werden länger fixiert. Funktionswörter wie Konjunktionen, Artikel und Präpositionen (wenn, der, vor) dagegen werden nur überflogen. 60 Prozent aller Artikel, Präpositionen und Konjunktionen werden gar nicht gelesen. Im Durchschnitt werden 20 Prozent aller Wörter nicht gelesen.
Für dieses fortgeschrittene Lesen benötigt unser Gehirn weit weniger Ressourcen. Je mehr jemand gelesen hat, desto weniger Ressourcen nimmt der Lesevorgang selbst in Anspruch. Damit steht dann umso mehr Hirnleistung für die inhaltliche Verarbeitung des Textes zur Verfügung. Allerdings ist das von Erwartungen getriebene Lesen auch ein Grund dafür, warum Druckfehler so leicht übersehen werden.
Können Sie diese Wörter lesen?
E_pr__so, C_la, B_e_?
WSEIO KNOENEN SIE DEIESN STAZ LSEEN, OWHOBL DIE BCUTHSAEBN NCHIT IN DER RCITHGIEN REHINEFOGLE SHETEN?
Verstehen ist wichtig für flüssiges Lesen
Die Sinnerwartung steuert, wie viele Informationen wir brauchen, um einen Text flüssig zu lesen. Die Lesegeschwindigkeit hängt davon ab, wie treffsicher unsere Sinnerwartung ist.
Lesen ist mehr, als Wörter zu dekodieren. Es dient dem Aufbau von Wissensstrukturen. In der Regel sind Kinder zum Lesenlernen sehr motiviert. Sie erarbeiten sich damit eine Fähigkeit, mit deren Hilfe sie in eine Erwachsenenwelt vordringen, die ihnen bislang vorenthalten war. Wenn die Kinder erst einmal geschriebene Wörter in Sprache übersetzen können, verliert das Lesenlernen ein Stück weit seinen Reiz.
Beim Lesen ist aber vor allem das Verstehen wichtig. Wie wir bereits gesehen haben, werden beim Lesenlernen neue Gehirnverbindungen angelegt. Daher ist das Gehirn von beginnenden Lesern mit dem Entziffern der Buchstaben bereits ziemlich ausgelastet. Erst eine gewisse Leseautomation gibt genügend Hirnleistung für die inhaltliche Verarbeitung frei. Es ist daher ganz wichtig, dass Kinder weiterhin zum regelmäßigen Lesen animiert werden, denn die Leseflüssigkeit, die Automatisierung von Lesevorgängen und das Erlernen sinnerfassenden Diagonallesens wird erst in den folgenden Jahren durch beständiges Lesen geübt und entwickelt.
Zum verstehenden Lesen bedarf es allerdings noch mehr als das flüssige Erfassen der Schriftzeichen. Viele Texte lassen sich gar nicht erschließen, wenn der Leser nicht ein bereits vorhandenes Wissen mitbringt. Dieses Wissen steigt mit jedem neuen gelesenen Text weiter an.
Beispiel: Er bezahlte an der Kasse 16 Euro. Sie wollte ihm 8 Euro zurückgeben, aber er wollte das Geld nicht haben. So gingen sie denn beide hinein und sie kaufte ihm eine große Tüte Popcorn.
Das Beispiel beschreibt ein Szenario im Kino. Um die Sätze inhaltlich einordnen und verstehen zu können, muss der Leser bereits die Abläufe eines Kinobesuches kennen.
Den Weg des Kindes zu verfolgen und zu fördern, vom einfachen Entziffern des Wortes „Katze“ zum mühelosen Verstehen von Ausdrücken wie „die schnurrende Kreatur auf Samtpfoten namens Mephistopheles“, ist eine herausfordernde und überaus wichtige Aufgabe.
Lesen hat einen erheblichen Anteil an unserer Fähigkeit zu denken, zu fühlen, Schlüsse zu ziehen und andere Menschen zu verstehen. Lesen fördert die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Mangelnde Lesekompetenz dagegen bedeutet, dass viel Information und Wissen verloren geht.
Unsere Produkte zum Lesenlernen
Das gründliche und kompetente Lesenlernen ist für den weiteren Bildungsweg eine unumgängliche Voraussetzung. Vor allem im fremdsprachigen Ausland ist es oft schwierig, die Schreib- und Lesefähigkeiten in der deutschen Sprache auf einem altersgerechten Niveau zu erhalten.
Mit den Deutschkursen der Deutschen Fernschule können Sie die Lese- und Schreibkompetenz gezielt fördern.
Für Erstleser empfehlen wir Ihnen zusätzlich Graf Orthos Lesetruhe. Durch kleine Hefte mit kurzen Texten bekommen die Kinder sehr früh eine hohe Lesemotivation, da sie schnell ein ganzes Buch lesen können.
von Ilonka Lindenhain
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